Spoiler: Das FSJ ist kein Lückenfüller.
- Joana Zimmermann

- 23. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Juni
von Joana Zimmermann
Wer glaubt, ein Freiwilliges Soziales Jahr sei bloß ein bisschen Beschäftigungstherapie für Unentschlossene, verpasst, worum es wirklich geht. Ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ist für viele junge Menschen eine besondere Gelegenheit: Es ermöglicht ihnen, sich gesellschaftlich zu engagieren, neue Perspektiven zu gewinnen und herauszufinden, wohin sie beruflich oder persönlich gehen möchten. Ob in sozialen Einrichtungen, Umweltprojekten, politischen Initiativen oder im Kulturbetrieb – das FSJ eröffnet Erfahrungsräume, die in Schule oder Ausbildung oft fehlen. Dabei werden Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikation, Organisationstalent oder Verantwortungsbewusstsein gestärkt – Fähigkeiten, die nicht nur für den beruflichen Weg, sondern für das Leben insgesamt zentral sind.
Ich selbst absolviere mein FSJ in einem Konzerthaus. Dort lerne ich täglich, was eine gelungene Kulturveranstaltung alles erfordert: Planung,Technik aber auch Öffentlichkeitsarbeit. Ich erfahre, wie Zusammenarbeit funktioniert, wie man mit Stresssituationen umgeht und was es bedeutet, Teil eines funktionierenden Teams zu sein. Besonders prägend sind die zwischenmenschlichen Begegnungen: mit Künstlerinnen, Kolleginnen, Besucher*innen – und die Erfahrung, dass Kultur Räume schafft, die Menschen verbindet. Dies ist bereichernd, motivierend und lehrreich.
Gleichzeitig wirft die Freiwilligenarbeit Fragen auf. Denn so inspirierend das FSJ sein kann, so spürbar sind auch die Spannungsfelder, in denen es stattfindet. Wie viel Freiwilligkeit ist also noch fair?
Offiziell versteht sich das FSJ als Lerndienst. Doch wer einmal in einer Kita, einem Krankenhaus, einem Pflegeheim oder auch in einer kulturellen Einrichtung "mit"gearbeitet hat, merkt schnell, dass Freiwillige dort meist keine stillen Beobachter*innen sein können. Sie übernehmen feste Aufgaben, springen ein, wenn Personal knapp ist, stehen im Dienstplan und tragen Mitverantwortung für den Alltag. Warum diese Situation frustriert: Viele starten mit dem Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun – ein Gap Year mit sozialem Mehrwert nach dem Schulabschluss – und sehen sich plötzlich in Strukturen wieder, in denen sie nicht nur lernen, sondern funktionieren sollen. Die Grenzen zwischen Lernfeld und Lückenfüller verschwimmen. Manches fühlt sich nicht mehr nach einer begleitenden Erfahrung an, sondern nach Arbeit ohne klare Absicherung oder Mitspracherecht. Das schmälert nicht die Qualität des Engagements – aber es macht sichtbar, wie stark Freiwillige teilweise in Systeme eingebunden sind, die auf sie angewiesen sind.
Natürlich dürfen die Schwachstellen des Systems nicht ausgeblendet werden – im Gegenteil: Gerade von politischer Seite braucht es einen klaren Blick auf die strukturellen Probleme, die viele Freiwillige tagtäglich erleben. Gleichzeitig liegt es an den Trägern und Einsatzstellen, Räume zu schaffen, in denen das FSJ wirklich als das erlebt werden kann, was es sein soll: ein geschützter Erfahrungsraum, ein Safespace, in dem junge Menschen lernen, sich auszuprobieren und wachsen können und dürfen. Denn die freiwillige Arbeit, die wir leisten, ist keine Selbstverständlichkeit. Sie verdient Respekt, klare Grenzen und echte Begleitung.
Als Freiwillige stehen wir oft zwischen Idealismus und Realität – und genau deshalb ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig stärken, uns solidarisch unterstützen und dafür sorgen, dass wir das Beste aus diesem Jahr mitnehmen. Ein FSJ bedeutet nicht nur, Verantwortung für andere zu übernehmen, sondern auch für uns selbst. Es heißt, "Neinsagen" zu können, Grenzen zu setzen und zu erkennen, wo unsere Rolle aufhört*– nicht weil wir weniger leisten wollen, sondern weil wir ernst genommen werden müssen. Freiwilligendienst ist ein Ort des Lernens – und dazu gehört auch, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren.
Trotz aller Herausforderungen bleibt das FSJ eine enorme Chance – für junge Menschen, für Einrichtungen und für die Gesellschaft insgesamt. Es bietet nicht nur Orientierung, sondern stiftet Sinn. Es fördert Empathie, Eigenverantwortung und Beteiligung. Und es zeigt, dass Engagement kein Sonderfall, sondern eine tragende Säule des Miteinanders ist.
Denn dass das FSJ nach wie vor gefragt ist, zeigen auch die aktuellen Zahlen: Die Zahl der Bewerbungen ist im Vergleich zum Vorjahr um 12 % gestiegen, die Teilnehmerzahlen bleiben stabil. Besonders erfreulich ist, dass es zunehmend gelingt, junge Menschen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen zu erreichen. So stieg im Jahrgang 2023/2024 der Anteil der Teilnehmenden mit Realschulabschluss um 2,1 Prozentpunkte, sowie der Anteil mit Hauptschulabschluss um 1,4 Prozentpunkte. Gleichzeitig sank der Anteil derjenigen mit Abitur oder Fachhochschulreife auf 50,8 %. Zum Vergleich: Der Anteil der Studienberechtigten in der altersspezifischen Bevölkerung lag 2023 laut Bundesministerium für Forschung (BMBF) bei 47,1 %. Das FSJ spricht also ein breites und diverses Spektrum an – ein starkes Zeichen für seine gesellschaftliche Relevanz.
Damit das so bleibt – oder noch besser wird – braucht es klare Strukturen, gute Begleitung und eine breite gesellschaftliche Anerkennung. Das FSJ sollte nicht nur als persönliche Zwischenstation betrachtet werden, sondern als das, was es wirklich ist: ein Erfahrungsraum für junge Menschen, in dem sie wachsen können, und ein Dienst, der unsere Gesellschaft stärkt. Wer erlebt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen, wird sich auch später mit größerer Selbstverständlichkeit für andere einsetzen. Deshalb ist es Zeit, das FSJ nicht nur zu schützen, sondern weiterzuentwickeln – als Ort der Bildung, der Begegnung und des Zusammenhalts.
*Welche Verpflichtungen und Rechte ihr in eurem FSJ habt könnt ihr im Beitrag Was tun, wenn’s mies läuft?“ – Rechte & Hilfe für FSJler:innen nachlesen.




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