Wie kriegen wir mehr Männer weg von Podcasts über Männlichkeit – und hin zu echter gesellschaftlicher Verantwortung?
- Joana Zimmermann

- 24. Juni
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Aktualisiert: 24. Juni
von Joana Zimmermann
Die Debatten über Männlichkeit, Disziplin und Selbstoptimierung füllen Podcasts junger Männer, während vorwiegend Mädchen und junge Frauen die ganz praktische Arbeit an der Gesellschaft leisten. Sie engagieren sich im Pflegeheim, in der Kita, im Umweltschutzprojekt, im Jugendzentrum oder im Theater – freiwillig. Wer sich also fragt, wie solidarisches Miteinander funktioniert, sollte nicht auf TikTok-Coaches hören*, sondern einen Blick auf Freiwilligendienste werfen. Denn auch 2025 bleibt gesellschaftliches Engagement – ob im sozialen, politischen, ökologischen oder kulturellen Bereich – vor allem eines: Frauensache.
Und tatsächlich: Jedes Jahr absolvieren rund 50.000 junge Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Zählt man den Bundesfreiwilligendienst (BFD) und andere Formate wie das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) oder das Freiwillige Kulturelle Jahr (FKJ) hinzu, entscheidet sich etwa jede*r Zehnte eines Schulabschlussjahrgangs in Deutschland für einen Freiwilligendienst. Zwei Drittel davon sind weiblich. Mädchen und junge Frauen leisten hier einen zentralen Beitrag für unsere Gesellschaft – sei es durch Betreuung, Umweltbildung, Kulturarbeit oder politisches Engagement. Und obwohl es in allen Bereichen Freiwilligendienste für alle Geschlechter gibt, ist das Bild klar: Es sind vor allem junge Frauen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen.
Auch wenn sich langsam etwas tut: Mit einem Männeranteil von rund 35 Prozent in sozialen Berufen insgesamt (Stand 2023, laut Bundesministerium für Bildung und Forschung) ist eine zarte Zunahme an männlichen Freiwilligendienstleistenden erkennbar geworden. Dennoch bleibt Care-Arbeit, ob bezahlt oder unbezahlt, in erster Linie weiblich konnotiert – ebenso wie viele Formen freiwilliger gesellschaftlicher Verantwortung.
Feministische Perspektiven zeigen: Diese Verhältnisse sind keine bloßen Zufälle oder Ausdruck „natürlicher“ Interessen, sondern Ergebnis tief verwurzelter Rollenerwartungen. Mädchen werden früh ermutigt, empathisch zu sein, sich zu kümmern, Verantwortung zu übernehmen. Jungen wird oft gesellschaftlich vermittelt, dass ihre Stärken im Durchsetzungsvermögen, in Technik oder Logik liegen.** Die Folge: Junge Männer entscheiden sich immer noch seltener für ein Freiwilliges Jahr – und wenn, dann oft eher für technische oder handwerklich orientierte Einsatzstellen. Und das, obwohl alle Freiwilligendienste wertvolle Erfahrungen, Kompetenzen und neue Perspektiven bieten.
Doch das eigentliche Problem reicht über das Freiwilligenjahr hinaus: Care-Arbeit – ob im Privaten oder Beruflichen, ob sichtbar oder unsichtbar – wird abgewertet, weil sie weiblich konnotiert ist. Nach Angaben der OECD verrichten Frauen in Deutschland 44,3 % mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer.*** Selbst wenn Frauen erwerbstätig sind, übernehmen sie zusätzlich den Großteil der Hausarbeit, Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen. Diese Arbeit wird kaum gesehen und wertgeschätzt, geschweige denn angemessen bezahlt.
Freiwilligendienste machen diese Ungleichheiten sichtbar. Sie zeigen, wer Verantwortung übernimmt – und wer es sich leisten kann, das nicht zu tun. Gleichzeitig bieten sie Potenzial für Veränderung: Wenn noch viel mehr junge Männer sich für ein Freiwilliges Jahr entscheiden würden – im sozialen, ökologischen, kulturellen oder politischen Bereich –, könnten sie erleben, wie wichtig gesellschaftliches Engagement ist und Fähigkeiten erlernen, die nicht geschlechtsspezifisch, sondern menschlich sind. Und dringend gebraucht werden.
Was es dafür braucht? Eine Aufwertung aller Formen von Care- und Engagementarbeit. Bessere Bezahlung, bessere Sichtbarkeit, echte Anerkennung. Rollenvorbilder, die zeigen: Verantwortung ist kein weiblicher Reflex, sondern eine gemeinsame Aufgabe. Und eine Gesellschaft, die jungen Männern nicht nur sagt, dass sie sich einbringen dürfen – sondern dass sie es sollen.
Denn Fürsorge, Empathie und Engagement sind keine Nebensache, die nur im Freiwilligendienst vorkommen. Sie sind die Grundlage jeder Zukunft.
*Column: ‘Alpha Male Podcast Bros’ and the epidemic of misogyny; Alexis David, Columnist,
March 1, 2024/ ZDFinfo Beitrag; Wer ist Andrew Tate?, Mai 2023
**Quelle : National Graphic; Junge Männer, alte Rollenbilder: Steckt die Männlichkeit in der Krise?; Tara-Louise Wittwer ( Kulturwissenschaftlerin, Autorin und SPIEGEL-Kolumnistin)
*** Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD); Gender Care Gap: Frauen leisten 43,8% mehr unbezahlte Arbeit als Männer (Pressemitteilung Statistisches Bundesamt, 28.02.2024)




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